Rückblick auf eine facettenreiche Debatte: Die Rechtsstaatsförderung auf dem PeaceLab-Blog

20. Juni 2019   ·   Tilmann Röder

Nach 41 Beiträgen in der RSF-Debatte ist klar: Rechtsstaatsförderung ist immer politisch. Wer in der Rechtsstaatsförderung effektiver werden will, muss daher Kontexte besser analysieren, mehr Flexibilität in der Projektplanung ermöglichen, lokale Bevölkerungen stärker einbinden und vernetzter handeln. Und das sind nur einige Ergebnisse aus einer fruchtbaren Debatte auf dem PeaceLab-Blog.

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Im Januar 2019 bat die Bundesregierung Fachkreise und Expert*innen aus der Zivilgesellschaft, die Entwicklung ihrer ersten Strategie zur Rechtsstaatsförderung mit Beiträgen auf dem PeaceLab-Blog zu unterstützen und kritisch zu begleiten. Bis zum Ende der Debatte im Mai 2019 erreichten die Redaktion, in der das GPPi mit dem RSF-Hub zusammenarbeitete, insgesamt 41 Beiträge – eine überraschend große Zahl. Doch nicht die Statistik macht den eigentlichen Erfolg der Debatte aus, sondern die vielfältigen Aspekte und Ideen, die ihre Autor*innen vortrugen. Hierzu beigetragen hat auch, dass zahlreiche Stellungnahmen von Expert*innen aus Ländern, in denen Rechtsstaatsförderung umgesetzt wird, veröffentlicht werden konnten: aus Afghanistan, Indien, Kirgisistan, Libyen, Pakistan, den Palästinensischen Autonomiegebieten, Sudan/Südsudan sowie Thailand. Hervorzuheben ist auch, dass sich Stimmen aus den wichtigsten internationalen Institutionen und Organisationen ihr Wissen und ihren Rat einbrachten, darunter aus den Vereinten Nationen, der International Development Law Organisation, International IDEA und der Pathfinder-Initiative zu SDG 16+.

Kontextanalysen verbessern, Projektpartnern mehr Flexibilität zustehen

Einige Themen ziehen sich wie rote Fäden durch die Debatte. Das erste ist die Forderung nach einem besseren Verständnis der Kontexte, in denen gearbeitet wird. Konkret bedeutet dies, Vorhaben bzw. Projekte durch systematische Kontextanalysen besser vorzubereiten und zu begleiten. Dass eine Verengung auf rechtliche Aspekte dazu führt, die Interessen der Bevölkerung und die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation im Partnerland aus den Augen zu verlieren, gilt fast als Gemeinplatz. Nach dieser Debatte wird wohl keine Durchführungsorganisation behaupten können, rein „technisch-juristisch“ zu beraten und daher auf multidisziplinäre Analysen verzichten zu können.

Rechtsstaatsförderung ist nie unpolitisch, es geht immer um Machtfragen. Sie bedarf deswegen der politischen Einbettung und Flankierung durch Diplomatie, politischen Dialog und Beteiligung der Zivilgesellschaft, wie der stellvertretende SWP-Direktor Günther Maihold in seinem wichtigen Beitrag fordert. Gefragt sind aber auch die geldgebenden Ressorts der Bundesregierung, die Durchführungsorganisationen mehr Flexibilität zugestehen sollten, beispielsweise durch Orientierungsphasen zur strategischen Nachjustierung und Bildung von reformorientierten Allianzen im Partnerland.

Interessen der Bevölkerung kennen und Vertreter besser einbinden

Hier stellt sich allerdings die Frage, wie die Interessen der Bevölkerung überhaupt festgestellt werden können. Der Gründer der indischen NGO Justice Adda, Siddharth de Souza, schlägt vor, Nutzer*innen bestimmter rechtlicher Dienstleistungen in alle Phasen einzubinden – von der Kontextanalyse über die Planung und  Durchführung von Projekt bis hin zu ihrer Evaluierung:

„Arriving at solutions for justice reform cannot work unless it responds to user needs rather than to the transplanted priorities of development institutions.”

Sein Rat, hierbei Design Thinking einzusetzen, ist bei der Entwicklung eines Netzwerks von verfassungsrechtlich interessierten Akteuren in Afghanistan bereits eingesetzt worden. Das Ergebnis war die Gründung der Afghan Constitutional Studies Institution, eines registrierten Vereins, der bereits jetzt eine wichtige zivilgesellschaftliche Stimme darstellt und sich zum Ziel gesetzt hat, bei Verhandlungen zwischen Regierung und Taliban die Aufrechthaltung rechtlicher Mindeststandards einzufordern.

Positive wie negative Wirkungen der externen Interventionen besser einschätzen

Dass die Bevölkerung sich weniger für den Aufbau bestimmter Institutionen als für konkrete, zuverlässige Governance-Leistungen interessiert, ist eine wiederkehrende Beobachtung von Praktiker*innen. Im Bereich der Streitbeilegung werden in vielen Ländern nicht-staatliche Akteure als legitimer betrachtet als staatliche Institutionen. Sie bieten teilweise die einzige Möglichkeit für Zugang zu Recht für große Teile der Bevölkerung. Allerdings verletzen Ältestenräte, Chief Courts, indigene Gerichte und ähnliche traditionelle oder religiöse Instanzen immer wieder Menschenrechte. In vielen Fällen werden Frauen nicht oder nur unzureichend beteiligt – patriarchale Strukturen bleiben damit erhalten oder werden noch verstärkt. Auch Minderheiten finden häufig kein Gehör.

Wie also umgehen mit den non-state justice institutions? Während einige in der Debatte fordern, legitime, nichtstaatliche Akteur*innen stärker in ihre Programme einbinden, setzen andere vorrangig auf die Förderung zentralstaatlicher geschlechtergerechter Rechtsnormen, um Frauenrechte zu stärken. Entscheidend sind gerade in diesen Fällen fundierte Kontextanalysen, die ethnologische, politik- und regionalwissenschaftliche Perspektiven einschließen, um positive wie negative Wirkungen der geplanten externen Intervention möglichst genau einschätzen zu können.

Innerstaatliche Dialogformate stärken – schon vor Projektbeginn

Wo eine abschließende Einschätzung nicht möglich ist oder die normativen Vorstellungen vor Ort so stark von den eigenen abweichen, dass Beratung und Unterrichtung auf keinen fruchtbaren Boden fallen können, bieten sich Dialogformate an. Diese fördern nicht nur das Verständnis der Gegenseite, sondern auch das eigene, schaffen Vertrauen und können den Boden für weitergehende Projektmaßnahmen bereiten. Herrscht sogar innerhalb eines Partnerlandes Streit darüber, welche Regeln in Staat und Gesellschaft gelten sollen, sollte die Bundesregierung innerstaatliche Dialoge durch den Einsatz von geschultem Personal fördern, statt allzu früh selbst Partei zu ergreifen. Nur auf diese Weise können vor Ort nachhaltige Lösungen entwickelt werden.

Zwei weitere Aspekte verdienen in diesem Zusammenhang hervorgehoben zu werden. Matthias Kötter weist darauf hin, dass der Austausch über Rechtsstaatlichkeit bereits beim Aushandeln von Projektvereinbarungen beginnen kann und sollte – also etwa in den Regierungsverhandlungen zu Programmen der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ) oder in der diplomatischen Vorbereitung und Begleitung von kleineren Projekten. Siraj Khan und Patrick Schneider weisen auf – möglicherweise unbewusste –Vorbehalte gegenüber Partnern im islamischen Kulturraum hin und fordern einen ehrlichen „Rule of Law and Security Dialogue with the Islamic World“. Dies gerade mit schwierigen Akteuren –  anstatt die Begegnung “auf Augenhöhe” immer und immer wieder zu behaupten, aber nur mit gleichgesinnten oder opportunistischen lokalen Eliten zusammenzuarbeiten. 

Letztere sind häufig die größten Profiteure von korrupten Praktiken und wenig daran interessiert, bestehende Verhältnisse zu ändern. Eine Strategie der Bundesregierung zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit, die das Thema Antikorruption umgeht, wird wenig bewirken. Wie eine effektive Bekämpfung von Korruption aussehen kann, ist allerdings noch nicht hinreichend untersucht. Hier ist nicht nur die Praxis, sondern auch die Forschung dringend gefragt.

Deutsche Rechtsstaatsförderung sollte innovativer, effektiver und vernetzter werden 

Drei Punkte sind abschließend zu nennen. Erstens muss die deutsche Rechtsstaatsförderung innovativer werden, wenn sie auch in Zukunft Wirkungen zeigen will. So können die Bundesregierung und ihre Partner den Zugang zu Recht durch digitale und andere technologische Lösungen signifikant verbessern. Zweitens sollten die Ressorts der Bundesregierung darauf achten, dass geringere Anteile der Projektbudgets bei den Durchführungsorganisationen verbleiben, wo sie vor allem in den Bereichen Personal, Verwaltung, Reisen und Sicherheit versickern. Den Ausweg weist Lutforahman Saeed:

A way out of this situation is to directly support local organizations. (…) The German government should take two measures: First, develop and rigorously enforce a catalogue of standards for local organizations that help us understand what requirements we must meet to obtain funds for rule of law project work. (…) Second, adjust the German rules to the situation within a country like Afghanistan, since there are local laws with specific requirements and other circumstances that we must take into consideration. Rule of law work here needs flexibility. (…) countries. Ultimately this will save a lot of money and ensure Germany reaches its strategic aims.

Schließlich schallt auch aus dieser Debatte der Ruf nach besserer Kooperation zwischen Ressorts, Durchführungsorganisationen und Wissenschaft. Eine klare und ressortübergreifende Zusammenarbeit sowie ein kontinuierlicher, vernetzter Austausch, so etwa Franziska Rinke, sind dringend nötig. In diesem Sinne sollte die Debatte zur Strategie der Bundesregierung zur Förderung von Rechtsstaatlichkeit nicht mit diesem Rückblick enden, sondern vielmehr ein Anfang sein. 

Debatten

in Zusammenarbeit mit dem RSF-Hub der Freien Universität Berlin

Zivilgesellschaft Rechtsstaatsförderung Korruption

Tilmann Röder

Dr. Tilmann J. Röder ist Wissenschaftlicher Koordinator beim Rechtsstaatsförderungs-Hub, einer Kooperation zwischen der Freien Universität Berlin und dem Auswärtigen Amt. Er hat die Debatte zur Rechtsstaatsförderung mit fachlicher Beratung begleitet.