Frauen, Frieden, Sicherheit in Deutschland: Zeit zu handeln

06. August 2020   ·   Melanie Coni-Zimmer, Sonja Katharina Schiffers

Von März bis August 2020 diskutierten 40 Autor*innen in 28 Beiträgen diverse Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der UN-Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit (1325) in Deutschland auf dem PeaceLab-Blog. Der neue Nationale Aktionsplan muss nun messbare Ziele formulieren, die nicht nur die Umsetzung der Agenda auf internationaler Ebene, sondern auch in Deutschland verstärkt in den Blick nehmen.

Deutschland gehörte ursprünglich nicht zu jenen Ländern, die die UN-Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit engagiert vorantrieben: Erst als vierundvierzigster UN- beziehungsweise fünfundzwanzigster OSZE-Mitgliedsstaat verabschiedete die Bundesregierung im Jahr 2013 einen eigenen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Agenda. Nun arbeitet die Bundesregierung am dritten NAP 1325, der noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Die Blogdebatte Frauen, Frieden & Sicherheit. Impulse für den dritten Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung hatte zum Ziel, Ideen und Forderungen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, aus Deutschland und seinen Partnerländern zur Weiterentwicklung des NAPs zu sammeln. Welche konkreten Ziele und Maßnahmen sollte die Bundesregierung im neuen Aktionsplan verankern? Welche Erkenntnisse aus dem Bereich der Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung sollte die Bundesregierung bei der Gestaltung und Umsetzung des NAPs berücksichtigen?

Im Mittelpunkt der Blogbeiträge standen die Vertiefung und Umsetzung bestehender Schwerpunkte der WPS-Agenda, die Erweiterung konzeptioneller Grundlagen zur Umsetzung der Agenda 1325 durch und in Deutschland, eine bessere Ausstattung und systematischeres Monitoring sowie die Weiterentwicklung der Agenda im Rahmen der UN, EU und anderer internationaler Organisationen. Dieser Beitrag fasst die Blogdebatte zwischen März und August 2020 zusammen.  

Bestehende Schwerpunkte der WPS-Agenda vertiefen und umsetzen  

Mehrere Beiträge der Blogdebatte befassten sich damit, wie die Partizipation von Frauen in Friedensverhandlungen und -prozessen gestärkt werden kann. Der Fokus darf hierbei nicht darauf liegen, ein formales Kriterium zu erfüllen – vielmehr muss es das Ziel der Bundesregierung sein, kontextspezifische Inklusion zu ermöglichen und substanzielle Einflussmöglichkeiten für Frauen und marginalisierte Gruppen zu schaffen. Ein besonderes Augenmerk der Beiträge lag auf der Förderung und Einbeziehung lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen (Track 2-Initiativen) und der Vernetzung offizieller Friedensverhandlungen mit lokalen Friedensinitiativen.

Die Beiträge hoben darüber hinaus einerseits die besonderen Risiken hervor, denen Frauen- und Menschenrechtsverteidiger*innen ausgesetzt sind, andererseits aber auch das Potenzial von Grassroots-Aktivist*innen für politischen Wandel auf lokaler Ebene. Durch die finanzielle und anderweitige Unterstützung lokaler zivilgesellschaftlicher Organisationen kann die Bundesregierung nicht nur dazu beitragen, dass Frauen an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention sexualisierter Gewalt leisten.

Diverse Maßnahmen zur ganzheitlichen Unterstützung von Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt sollten zentrale Elemente des neuen NAPs bleiben und ausgebaut werden: Dazu gehört die Förderung traumasensibler Unterstützungsangebote ebenso wie die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Gewalt in Konfliktstaaten und – nach dem Weltrechtsprinzip – auch in Deutschland sowie die Unterstützung der Beteiligung von Überlebenden an Friedensprozessen.  

Konzeptionelle Grundlagen zur Umsetzung der Agenda 1325 erweitern  

Zahlreiche Debattenbeiträge forderten, den künftigen NAP breiter zu fassen und neue Aspekte in die Konzipierung und Umsetzung der Agenda 1325 durch die Bundesregierung aufzunehmen. Beispielsweise sollte die Bundesregierung im neuen NAP über Frauen hinausgehen und stattdessen Gender in den Fokus nehmen, sodass unter anderem Männer und Männlichkeiten zunehmende Beachtung finden können. Insbesondere im Bereich der Konflikt- und Gewaltprävention könnte dieser Ansatz gewinnbringend sein. Außerdem sollte das Prinzip der Intersektionalität, also die Berücksichtigung sich überschneidender Formen der Benachteiligung, explizit im NAP verankert sein, sodass Faktoren wie sexuelle Identität oder Alter künftig stärker in die Umsetzung der Agenda 1325 integriert werden. 

Ein weiterer Schwerpunkt der Debattenbeiträge betrifft die Notwendigkeit, außenpolitische Kohärenz herzustellen. Hierzu sollte die Bundesregierung genderresponsive Elemente der neuen Ressortstrategien zu Sicherheitssektorreform, Vergangenheitsarbeit und Rechtsstaatsförderung in den neuen NAP aufnehmen. Im Feld der Sicherheitssektorreform kann dies etwa bedeuten, die Erhöhung des Anteils von Frauen bei den Sicherheitskräften in Partnerländern zu unterstützen oder auch genderresponsive Maßnahmen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Kämpfer*innen zu fördern. Auch sollte die Bundesregierung ihre Aktivitäten in anderen Politikfeldern, wie Klima, Rohstoffbeschaffung oder auch Rüstungsexporte, auf Kohärenz mit der WPS-Agenda prüfen. So können etwa Deutschlands Rüstungsexporte in Krisengebiete mit der Umsetzung der Agenda 1325 konfligieren, weshalb die Bundesregierung auf einen Rüstungsexportstopp für entsprechende Drittstaaten hinarbeiten sollte. 

Umsetzung in Deutschland stärker in den Blick nehmen  

Mehrere Beiträge forderten eine stärkere Hervorhebung der Relevanz der Agenda 1325 auch jenseits von Konfliktregionen bzw. innerhalb Deutschlands und der EU – sowohl konzeptionell als auch in der Umsetzung. Ein Beispiel hierfür ist der Beitrag über die Gefährdung bzw. Einschränkung reproduktiver Rechte von Frauen in Polen. Die Forderungen zum deutschen NAP betreffen insbesondere geflüchtete und vertriebene Frauen. Diese sind während der Flucht – etwa an den EU-Außengrenzen – einem erhöhten Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Aber auch innerhalb Deutschlands sollten sie verstärkt als Akteurinnen und Adressatinnen von 1325-Maßnahmen berücksichtigt werden, um ihre Rolle sowohl in den jeweiligen Communities als auch in Friedensprozessen zu stärken.

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen darüber hinaus, dass rechtsradikales Gedankengut oft sowohl Migrant*innen- als auch Frauenfeindlichkeit beinhaltet. Gleichzeitig sind Frauen aber nicht nur Ziele, sondern verfügen über Agency, wie ihr steigendes Engagement in extremistischen Bewegungen zeigt. Die Bundesregierung sollte genderresponsive Ansätze in der Radikalisierungsprävention stärken, die die verschiedenen Rollen von Frauen – als Ziele, aber auch als Akteurinnen – reflektieren.  

Bessere finanzielle und personelle Ausstattung für die Umsetzung der Agenda  

Wichtige Forderungen der Debatte betrafen zudem die finanzielle und personelle Ausstattung des NAPs sowie das Monitoring. Der aktuelle NAP verfügt über kein eigenes Budget, sondern wird aus unterschiedlichen Töpfen finanziert, sodass nicht messbar ist, wie viele Mittel die Bundesregierung zur Umsetzung des NAPs schlussendlich zur Verfügung stellt und wofür diese genau ausgegeben werden. Die Bundesregierung sollte sich zu mehr Transparenz verpflichten, etwa indem ein einheitliches Gender Marker System, das alle Ressorts anwenden, oder Gender Budgeting eingeführt wird. Dies würde nicht zuletzt dazu dienen, vorhandene Mittel effizient einzusetzen, Dopplungen zu vermeiden und Finanzierungslücken zu identifizieren. Eine wichtige Herausforderung für die Bundesregierung ist die Zusammenarbeit mit und finanzielle Förderung von Grassroots-Organisationen in Partnerländern, da diese wesentliche Partner für die Umsetzung der Agenda 1325 sein können. Zudem sollte die Bundesregierung das Prinzip der Nachhaltigkeit stärker in ihre Förderpolitik integrieren und standardmäßig mehrjährige Projekte ermöglichen. 

Auch personell könnte der NAP sich neue Ziele vornehmen. Dass fünf weitere Ministerien unter Federführung des Auswärtigen Amtes beim Thema 1325 mitreden, zeigt, wie relevant letzteres für die deutsche Außen-, aber auch die Innenpolitik ist und wie viele Querverbindungen es zu unterschiedlichsten Politikbereichen gibt. Obwohl dies in den Debattenbeiträgen nicht thematisiert wurde, liegt die Forderung nahe, dass der neue Nationale Aktionsplan den Anstoß dafür geben sollte, künftig in allen beteiligten Ministerien eigene 1325-Referent*innen zu benennen. Diese sollten über ein umfassendes Mandat und zeitliche wie finanzielle Ressourcen zur Umsetzung der Agenda in ihren Häusern verfügen.

Neue personelle Ziele könnte sich die Bundesregierung ebenfalls setzen, wenn es um die Erhöhung des Frauenanteils in der Bundeswehr geht. Auch der Anteil von Frauen, die in Friedensmissionen entsendet werden, bleibt in Deutschland bislang auf einem eher niedrigen Niveau. Hier bedarf der es einer systematischen Beschäftigung mit und Überwindung von Hürden, die Frauen in Polizei und Bundeswehr davon abhalten, sich für Auslandseinsätze zu bewerben.

Zudem könnte die Bundesregierung durch den Ausbau von Trainings- und Weiterbildungsangeboten den Aufbau von Expertise und Kapazitäten zum Thema 1325 fördern – dies gilt nicht nur für das zivile und militärische Personal in Friedenseinsätzen, sondern auch für das Personal in Ministerien, Durchführungsorganisationen und in internationalen Organisationen. 

Systematischeres Monitoring des Nationalen Aktionsplans

Nicht zuletzt ist die Verbesserung des Monitorings des NAPs ein besonderes Anliegen der Zivilgesellschaft. Ein wichtiges Element ist in diesem Zusammenhang die Vereinbarung von möglichst konkreten Zielgrößen im NAP, die eine Überprüfung der Implementierung möglich machen. Weitere Forderungen betreffen eine regelmäßige Berichterstattung der Bundesregierung über die Implementierung an den Bundestag, die bessere Einbindung der Zivilgesellschaft aus Deutschland und den Partnerländern sowie die regelmäßige Durchführung unabhängiger Evaluierungen. 

Weiterentwicklung der Agenda im Rahmen der UN, EU und anderer internationaler Organisationen

Bereits im aktuellen NAP bildet die Stärkung und Umsetzung der WPS-Agenda auf regionaler und internationaler Ebene einen wichtigen Schwerpunkt. Ein Praxisbeispiel hierfür ist das deutsche Engagement während der temporären Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Künftig sollte sich die Bundesregierung unter anderem nachdrücklicher für die Null-Toleranz-Politik von UN-Generalsekretär Guterres einsetzen, die auf die Prävention und Verfolgung sexueller Ausbeutung von UN-Personal zielt, und Gender-Kapazitäten in UN-Friedensmissionen stärken. Auch in der Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen wie der Afrikanischen Union bieten sich für die Bundesregierung zahlreiche Möglichkeiten, die Umsetzung der WPS-Agenda voranzubringen. 

Gleich mehrere Debattenbeiträge beschäftigten sich mit dem deutschen Engagement auf EU-Ebene und der Chance, die WPS-Agenda während der derzeitigen deutschen Ratspräsidentschaft durch verschiedene Aktivitäten voranzubringen. Das aktuelle Möglichkeitsfenster sollte die Bundesregierung aber nicht zu rein kurzfristigem Engagement verleiten, sondern den Anstoß für die mittel- und langfristige Förderung der WPS-Agenda auf EU-Ebene geben. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Vergrößerung des Anteils von Frauen in EU-Friedensmissionen - nicht nur, aber gerade auch in Führungspositionen. Weitere konkrete Maßnahmen auf EU-Ebene wären etwa die Vereinbarung einer Gender Parity Strategy wie in der UN und der OSZE oder die Thematisierung der WPS-Agenda bei hochrangigen Konferenzen. 

Auf dem richtigen Weg, aber noch viel zu tun

Die Debatte zum neuen Nationalen Aktionsplan 1325 auf dem PeaceLab-Blog zeigt eindrücklich die Vielfalt der Perspektiven und Forderungen zur Umsetzung der WPS-Agenda durch und in Deutschland. Viele der eingebrachten Forderungen sind nicht gänzlich neu, sondern zielen vielmehr darauf, bestehende Schwerpunkte auszuweiten, ihre konsequente Umsetzung einzufordern oder Zielsetzungen zu präzisieren. Während einige Autor*innen sehr konkrete Forderungen einbringen, sind andere Aspekte, wie etwa die Auseinandersetzung mit gendertransformativen Ansätzen, eine langfristige Aufgabe, die aber bereits jetzt auf den Weg gebracht werden kann. Zählen kann die Bundesregierung – auch das hat die Debatte auf dem PeaceLab-Blog gezeigt – bei all diesen Aufgaben auf eine aktive zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Community, die sich mit Nachdruck und viel Erfahrung für eine ambitionierte Umsetzung der WPS-Agenda engagiert.

Frauen Frieden & Sicherheit Gender

Melanie Coni-Zimmer

Melanie Coni-Zimmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin im Programmbereich “Internationale Institutionen” am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie ist Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung. @MConiZimmer

Sonja Katharina Schiffers

Sonja Katharina Schiffers leitet ehrenamtlich das Programm Gender und Internationale Politik bei Polis180 - ein Grassroots-Thinktank für Außen- und Europapolitik - und ist Mitglied des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung. @sonjakathar